Jahrbuch 2011


Editorial

Ein System ist mehr als die Summe seiner Teile, dadurch entsteht ein Mehrwert. Wenn in einer Anthologie ganz unterschiedliche Beiträge in ein neues Ganzes gefügt werden, darf man erst recht gespannt sein. Was anfangs in meinem Kopf herumgeisterte, war Menschen aus unterschiedlichen Wirkungsbereichen (Disziplinen) in einer ungewöhnlichen Form zusammenzubringen. Nicht des Zusammenbringens wegen, sondern um darüber für Freunde wie Geschäftspartner Anschlussmöglichkeiten an andere Denklandschaften zu geben. Ein reales Buch hat aus meiner Sicht gegenüber anderen Netzwerkprojekten einen großen Vorteil: es ist haptisch, es hat einen Geruch, man kann sehen, lesen und vorlesen – kurz gesagt, es ist ganzheitlich begreifbar. Entstanden ist ein hochwertiges bibliophiles Jahrbuch und jedes Exemplar ist aus zwei Gründen ein Unikat: es enthält am Buchende einen handsignierten Originaldruck eines Künstlers und auf der linken Seite daneben gibt es eine ganze Seite für Sie, die Ihnen eine persönliche Widmung ermöglicht.

2011 ist der erste „interformations“-Jahrgang. Und was als Idee mit einer „inter-aktion“ begann, ist letztlich, wie immer, der Beginn einer neuen Struktur; so entsteht etwas Neues aus und in einem Dazwischen. Für all dies steht für mich symbolisch das Wort „inter-formation“. Es findet auch mehr als eine rein interdisziplinäre Begegnung statt, denn es bleibt etwas Gegenständliches zurück, mit Nachwirkungscharakter. Wie und was diese Nachwirkung fächerüberfgreifend beeinflusst oder steuert, das könnte Gegenstand einer Meta-Disziplin, einer „inter-disziplin“ sein. Und dieser Begriff stellt auch das thematisch Einhüllende der Buchbeiträge dar. Denn die Nachwirkung schafft neuen Zusammenhalt und damit Nachhaltigkeit, sie ermöglicht Integration und erzeugt Sinn. Oder anders gesagt: das Buchprojekt stellt den Versuch einer Antwort auf die postmoderne Vielfalt dar, indem es die Kleinteiligkeit der Moderne, die Fragmentierung unserer Umwelten und unserer Gesellschaft durch sinnhaftes Zusammenfügen unterschiedlichster Menschen neu verbindet.

"interformations" ist der kreative Versuch, brauchbare Perspektiven zu vernetzen, um damit eine Orientierungsmöglichkeit in unsicheren Zeiten und verunsichernden Zwischenräumen anzubieten - und damit ist es zugleich ein Nachhaltigkeitsprojekt.

Deshalb bildet mein Aufsatz zum „Expertendilemma“ den thematischen Auftakt, gefolgt von Hans Rudi Fischers Beitrag über Worte und Missverständnisse, erläutert am Film „Babel“. Sprache ist immer auch Erfahrungsraum und bestimmt dadurch unsere Denk- und Handlungsmuster. Wie schwer das Verändern „eingebrannter“ Muster nicht nur für Elefanten ist, erläutert Michael Hengls Beitrag „Raus aus dem kognitiven Gefängnis“. Wobei Veränderung immer etwas mit Lernen von Neuem zu tun hat. Hier setzt der Aufsatz von Manfred Euler an, der wunderschön deutlich macht, wie Experimentieren - also letztlich das Spiel mit physikalischen Phänomenen - die mentale Entwicklung fördert.

Und diese spielerische Interaktion mit der Umwelt stellt eine Fähigkeit dar, die es lebenslang zu bewahren gilt, wenn ein Mensch viele seiner, häufig im Verborgenen liegenden Anlagen nutzen will. Das meint Hinnerick Bröskamp, wenn er vom „Register ziehen“ und „der inneren Orgel“ spricht. Und bisweilen sind es biographische Zäsuren oder private wie berufliche Krisensituationen, die dazu führen, dass Menschen plötzlich neue Fähigkeiten „ent-decken“ und sich schubartig weiterentwickeln. Darin ein balancierendes Muster zu erkennen, darum geht es Harald Reinhardt in seinem Aufsatz „Biographie und Schicksalsmythos“.

Und schließlich ist der Unterschied zwischen einem „System Mensch“ und einer „Organisation als System“ aus einer Meta-Perspektive gar nicht mehr so gewaltig, denn Individuum wie Unternehmen haben bewusste Anteile und unbewusstes Erfahrungswissen, über die sie nicht so leicht verfügen können. In jedem sozialen System ist für das Überleben und damit den Erfolg entscheidend, wie gut die Verbindung zwischen harten und weichen Faktoren gelingt, in welchen Situationen welche Kompetenzen in welcher Intensität gefragt sind. In ihrem Beitrag „Relationale Unternehmensführung“ setzt sich Sonja Radatz mit dieser Fragestellung auseinander und stellt einen konkreten Bezug zur gegenwärtigen Situation für Unternehmen her.

Und was ist Gegenwart ohne den Ausblick nach vorne, in die Zukunft, die viele vorherzusehen wünschen, jedoch keiner vorhersehen kann, auch wenn gerade Wirtschaftsexperten uns immer wieder eines Gegenteils zu belehren versuchen - und wir immer wieder Hoffnung haben; gerade jetzt - wieder. Und wenn jede Möglichkeit durch einen Experten vertreten ist, wird schließlich einer von ihnen auch Recht behalten; so gesehen passiert also nichts Verwunderliches – oder vielleicht doch? Denn die Komplexität der Moderne ist durch Unsicherheit, Nicht-Wissen und Unschärfe gekennzeichnet, das sind die Merkmale eines empirischen Systems. Aber Klaus Kofler geht es in seinem Beitrag über Zukünftiges um mehr als die komplexen Muster. Es geht ihm um die Etablierung einer inter- und multidisziplinären Zukunftsforschung, die bewusst quer- und über bestehende Muster hinaus denkt. Er stößt uns an, Zukunft als interdisziplinäre Weggestaltung zu sehen – und zu leben.

Womit wir wieder beim Auslöser für dieses Buchprojekt landen: Es gilt, die Zwischenräume kreativ zu nutzen. Auch dafür steht dieses Buchprojekt: Künstler aus dem Kölner Editionshaus art-bros.com verbinden mit ihren Werken die Textbeiträge und "interformieren" so mit das Neue. Und Christian Vogeler beschreibt im letzten Beitrag passend dazu den interaktiven Prozess reproduzierender Kunst sowie die Relation zum Original in der hochaufgelösten Postmoderne.

Ja, es gilt das Dazwischen kreativ zu nutzen und den Mut zu haben, sich von den bewährten Wissensinseln ein Stück weg zu wagen, ohne Bewahrenswertes über Bord zu werfen. Auf ruhiger See lässt es sich leicht segeln, wenn jedoch Sturm aufkommt und die Umwelt für das Boot damit dynamischer wird, dann sind Kapitän und Steuermann herausgefordert. In dieser Situation befindet sich die moderne Gesellschaft gegenwärtig - und jeder Mensch, der darin lebt. „Boote“ sind demnach die Unternehmen, ebenso wie jeder und jede Einzelne von uns, das gilt gleichermaßen. Bei dieser Odysee der lebenden Systeme bedarf es der Orientierung, der Kreativität, der Besinnung und der Integration – es Bedarf an neuen „interformations“.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Schauen, Fühlen und Lesen!
Und gutes Gelingen im Morgen – schon heute!

Redaktion Dr. Riehle


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